Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kegel,
lieber Christian,
sehr geehrte Mitglieder des Stadtrats,

„Traunstein barrierefrei!“ – Das hört sich gut an und ist weiterhin ein für alle Menschen
in Traunstein lohnendes und daher wünschenswertes Ziel!

Barrierefreiheit heißt, dass Gebäude und öffentliche Plätze, Arbeitsstätten und Wohnungen, Verkehrsmittel und Gebrauchsgegenstände, Dienstleistungen und Freizeitangebote wie auch Internetseiten so gestaltet werden, dass sie für alle ohne fremde Hilfe zugänglich sind!
Jede/r sollte sich in unserer Stadt entsprechend den eigenen Möglichkeiten uneingeschränkt aufhalten, bewegen, begegnen und kommunizieren können!

Traunstein war Modellkommune für den Weg des Freistaates zum Ziel „Bayern barrierefrei 2023“.

Dabei wurden mit sehr viel Engagement und mit hoher Fachkompetenz für Traunstein Schwachstellen, Potentiale und Handlungsempfehlungen erarbeitet. – Und doch: Das Thema „Barrierefreiheit“ ist leider in den Köpfen (und in den Herzen?) noch immer nicht so wirklich angekommen. Warum ist das so? – Weil mit/bei dem Thema „Barrierefreiheit“ gedanklich „leider“ immer „nur“ Menschen mit Behinderungen assoziiert werden, es sich somit
in der Wahrnehmung vermeintlich um ein „Randgruppenthema“ handelt. Weil sich „barrierefrei“ immer „irgendwie“ – was selbstverständlich vollkommen falsch ist – nach dem generösen Gewähren von „Mitleid“ und „Gnade“ anhört.

Auch in Traunstein kommen wir im eigenen Wirkungskreis bisher mit „barrierefrei“ nicht richtig voran, weil noch immer nicht „barrierefrei mitgedacht/mitbedacht“ wird!

Lassen Sie uns den gedanklich und emotional vollkommen fehlleitenden Begriff „Barrierefreiheit“ anders fassen, „einfach“ umdefinieren in „Komfort“, in „be-/nutzerfreundlich“, in „attraktivitätssteigernd“, in „qualitätsvoll“! Und schon erhält die Idee, die hinter dem Ziel „barrierefrei“ eigentlich steckt, eine ganz andere Diktion, eine Neuausrichtung, eine Wirkung, eine weite, ganzheitliche Orientierung der Wahrnehmung in Richtung „Stadtraum für Alle – barrierefreie Stadtnutzung für Alle – Wohlbefinden“, wofür sowohl funktionale als auch ästhetische Parameter eine wesentliche Rolle spielen.

Barrierefreiheit nutzt allen und bringt vielen einen unmittelbaren Vorteil – Menschen mit und ohne Behinderung, Senioren, Kindern, Eltern wie auch Menschen, die nur vorübergehend
z. B. wegen einer Verletzung in ihrer Mobilität eingeschränkt sind – alle profitieren von den Annehmlichkeiten abgesenkter Übergänge, ebenerdiger Zugangsbereiche, Fahrstühle, einfach zu bedienenden Gebrauchsgegenständen. Wer ist nicht froh über die komfortablen barrierefreie errichteten Bus- und Bahnstationen in Traunstein. Die weit überwiegende Mehrheit der Nutzer ist Nicht-Behindert!

Ein „breites“, benutzerfreundliches (also „barrierefreies“), gut ausgebautes Infrastrukturangebot wirkt anziehend, befördert die Attraktivität, erhöht die Lebensqualität, steigert ein familienfreundliches Klima und trägt ganz entscheidend zu einem „Mehrwert“ bei,
dass Traunstein „eine Einheit“ ist, dass Traunstein nicht nur als Wirtschaftsstandort,
sondern auch als Arbeitsplatz, als Bildungsstandort, als Gesundheitszentrum, vor allem
als Wohnort mit vielfältigen Wohnformen attraktiv bleibt, und touristisch besser wahrgenommen wird. Das emotionale und das körperliche Wohl hängen unmittelbar
mit unserer unmittelbaren, alltäglichen Umgebung zusammen. In einem gut gestalteten, „funktionierenden“ – städtischen – Raum halten wir uns lieber auf als in einer unfreundlich und unharmonisch wirkenden Umgebung.

Oftmals lässt sich das Nützliche mit dem Schönen verbinden. Neben baulichen und technischen Veränderungen sind es immer auch gesellschaftliche Maßnahmen,
die bereichern. Zum Beispiel können Design und einfachere Bedienung (mittels Sprachassistenz und sehr großen Buchstaben) bei Geld-/Ticketautomaten, Stadtplänen, Leitsystemen, Internetauftritt usw. ebenfalls zu einer Steigerung des Wohlbefindens
von Bürgerinnen und Bürgern beitragen.

Es gilt kreativ zu sein, vor allem aber aus Überzeugung initiativ zu werden und durchzustarten!

Politik darf und soll dort nicht bremsen, wo die Sinnhaftigkeit überzeugt und die Menschen überzeugt sind, zumindest aber nichts dagegen einzuwenden haben. „Dahoam“ kann ein Ort sein, „dahoam“ ist aber vor allem Gefühl, weshalb es für die Bindungskraft der Stadt Traunstein bedeutsam ist, wie lebenswert sie von Menschen für Menschen entwickelt wird. Deshalb: Bei der Umsetzung nicht über die Menschen (mit Behinderung) sprechen, sondern mit ihnen die Alltagsgrundlagen schaffen.

Leitlinien sollten hierbei sein:

  • Barrierefrei leben
  • Am Arbeits-, Schul- und Kulturleben teilhaben
  • Informieren und kommunizieren
  • Vielfältig wohnen

Ohne Barrierefreiheit kann die Inklusion von Menschen, kann Teilhabe und Chancengleichheit im Sinne von Abmilderung und Ausgleich ungleicher Chancenverteilung in allen Bereichen der Gesellschaft nicht gelingen.

Barrierefreiheit und Inklusion bedeuten für mich

  • ständiges Überprüfen des Gewohnten,
  • beständiger Aufbruch in die Normalität des Unterschiedlichen –
    des Unterschiedlich-Sein.

Jedem Entscheidungsträger im Stadtrat und in der Verwaltung muss bewusst sein,
dass zahlreiche Maßnahmen städtischen Handelns das persönliche, soziale, berufliche, kulturelle, wirtschaftliche, bauliche, öffentliche Umfeld gestalterisch bestimmen, dass jedwede Infrastruktur mit ihrem und durch ihr Vorhandensein den Status Quo prägt – zumeist über einen längeren Zeitraum hinweg, dadurch in die Zukunft hinein wirkt, diese beeinflusst und mitgestaltet. Verantwortliche und vorausschauende Stadtpolitik stellt bereits heute, mit jedem Vorhaben, die Weichen für den Wandel und dessen Bestand der nächsten 20 bis 30 Jahre – oftmals sogar weit darüber hinaus!

Bei der Barrierefreiheit geht es nicht um eine isolierte Daseinsform, sondern
um die grundlegende, umfassende Weiterentwicklung der Stadt in die Zukunft – eine Weiterentwicklung von der Alle etwas haben können sollen dürfen mit dem Ziel:
Traunstein muss für Jede/n in jeder Lebensphase attraktiv sein und lebenswert bleiben!

Mir ist vollkommen klar und selbstverständlich bewusst, dass beim Thema „barrierefreies Um-/Gestalten/Bauen“ der Kostenfaktor als (Gegen)Argument mitschwingt. Jede Maßnahme kostet und bindet Geld. Nachhaltigen Erfolg hat nur, wer dabei zielgerichtet, planmäßig und strategisch vorgeht. Eine vorausschauende Planung ist im Ergebnis kostengünstiger,
weil sie spätere Umbauten und Nachbesserungen vermeiden hilft, die meist sehr teuer sind.

Wegen der mit jeder Maßnahme verbundenen finanziellen Aufwendungen möchte ich Ihnen einen Gedankenansatz von Alois Glück, Landtagspräsident a. D., den ich irgendwann einmal gelesen habe und der selbsterklärend ist, vortragen: „Geld regiert die Welt!“ Das ist immer wieder auch die konkrete Alltagserfahrung. Trotzdem: Tatsächlich werden Entwicklungen
in Kulturen und Zivilisationen von den dominanten Wertvorstellungen geprägt. Was ist uns wichtig? Was beschreibt unsere Werte, unsere Leitbilder? In der Antwort darauf ergeben sich die Prioritäten im Einsatz unserer Mittel und unserer Zeit. Das gilt für uns individuell und ebenso für unsere Gesellschaft. Die öffentlichen Haushalte sind das Spiegelbild der Werte und der Prioritäten einer Gesellschaft. Sie prägen das Bildungswesen ebenso wie
die Wirtschaftsordnung und den Sozialstaat. Sie prägen die politische Kultur, den politischen Prozess und das Staatswesen. Und eben darum geht es im Kern der gegenwärtigen Auseinandersetzungen. Innenpolitisch und in der internationalen Politik. Trump und Putin, radikale Islamisten, Populisten und Nationalisten aller Prägungen wollen eine andere Gesellschaftsordnung und eine andere Wirtschaftsordnung. Sie kämpfen gegen die Werte und die Regeln der freiheitlichen Demokratie mit ihrer Bindung an den Rechtsstaat. Das ist ihr Kampf gegen die „westlichen Werte“! Das Fundament unserer Werteordnung ist
das Menschenbild der christlichen Tradition, das in Artikel 1 des Grundgesetzes
als gemeinsame Verpflichtung formuliert ist: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Die Verbindung von Freiheit und Verantwortung, von Leistungsbereitschaft und Solidarität ist Grundlage unserer Gesellschaftsordnung. Die Soziale Marktwirtschaft und die Leitlinien
des Sozialstaates sind danach geordnet.“

Wir politisch Stadtverantwortliche müssen uns selbst fragen und müssen uns von den Bürgerinnen und Bürger aller Alters-/Gruppen kritisch anfragen lassen:

Welche Leitbilder machen unsere Stadtgesellschaft heute und morgen im Hinblick auf ihre Bürgerinnen und Bürger aus – auch im Hinblick auf Menschen mit Handicaps, die
der Zuwendung, der gesellschaftlichen Solidarität und Anstrengung bedürfen?

Welche Prioritäten setzen wir in Bezug auf die Selbstoptimierung des Menschen?

Für welche Prioritäten setzen wir städtische Ressourcen ein?

Ich beantrage, folgenden Grundsatzbeschluss zu fassen:

„Präambel:

Barrierefreiheit heißt, dass insbesondere Gebäude und öffentliche Plätze, Arbeitsstätten
und Wohnungen, Verkehrsmittel und Gebrauchsgegenstände, Dienstleistungen und Freizeitangebote wie auch Internetseiten so gestaltet werden, dass sie für alle ohne fremde Hilfe zugänglich sind, dass auch gehörlose Menschen an Veranstaltungen teilhaben können.

Der Stadtrat ist sich bewusst, dass insbesondere die Gestaltung des öffentlichen Raumes, die Ausgestaltung und Ausstattung städtischer Einrichtungen, Straßenausbau- und
-erschließungsmaßnahmen sowie Baumaßnahmen an und in städtischen Gebäuden nach deren Fertigstellung in der jeweils gewählten Ausführungsform zum Teil über Jahrzehnte genutzt werden und somit „zum Bestand“ in den Folgejahren werden.

Die Barrierefreiheit ist dabei ein zentrales Leitinstrument im Sinne eines grundlegenden infrastrukturellen Komfortangebotes, das sich an alle Nutzerinnen und Nutzer aller
Alters-/Gruppen richtet. Ziel ist die nachhaltige und zukunftsfähige Steigerung der Qualität der Angebote der Stadt Traunstein und des öffentlichen Raumes sowie der Verbesserung dessen Komforts. Der Stadtrat ist sich bewusst, dass dies sich stetig verändernde Daueraufgaben sind, die sich permanent und nachhaltig fort- und weiterentwickeln müssen, weshalb bei Entscheidungen insbesondere jeweils die neuesten technischen Lösungen,
die neuesten
spezifischen wissenschaftlichen Erkenntnisquellen, die den Stand der Technik wiedergeben und deren Anwendung in Regelwerken empfohlen werden, zugrunde zu legen sind und/oder nach praktischen, alltagstauglichen Lösungsstrategien zu suchen ist.

Der Stadtrat ist sich bewusst, dass der Abbau von Barrieren ein wichtiger Schlüssel
für den Erhalt der Zukunftsfähigkeit und die Steigerung der Attraktivität der Stadt ist.

Der Stadtrat fasst den Grundsatzbeschluss mit der Selbstverpflichtung des Stadtrates und der Stadtverwaltung, dass bei allen zukünftigen Maßnahmen und Vorhaben der Stadt Traunstein dem Thema Barrierefreiheit der größtmögliche Stellenwert einzuräumen ist,
bei Ausschreibungen und Vergaben die Projekte weitmöglich barrierefrei zu planen und auszuführen sind, soweit dies technisch und wirtschaftlich möglich ist.“

 

Wolfgang Schäuble hat einmal gesagt:

„Eigentlich sind alle behindert. Behinderte haben den Vorteil, sie wissen es schon.“

 

Ich bitte Sie um Unterstützung meines Antrages!

 

Mit freundlichen Grüßen

Karl Schulz

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